Menü: Tel Aviv trifft Mainz

Menü: Tel Aviv trifft Mainz

6. Oktober 2019 0 Von Winona

Auch ich bin eine von ihnen – von den Ottolenghi-Jünger*innen. Die Rezepte des Londoner Kochs begeistern mich wie so viele dadurch, dass sie Gemüse in den Vordergrund stellen und kreativ Aromen aus den verschiedensten Ecken der Welt verbinden – mit dem wichtigen Einfluss dessen, was Yotam Ottolenghi selbst als Kind in Jerusalem gegessen hat. Einige beschweren sich auch über die langen Zutatenlisten und teils langwierige Zubereitung (bezeichnend ist, dass sich in seinem neusten Buch Simple das Konzept, einfachere Gerichte zu veröffentlichen, in einer Beschränkung auf „nur“ zehn Zutaten niederschlägt). Aber ich schätze ihn dafür, dass jeder Handgriff Sinn ergibt und spätestens, wenn ich den ersten Biss, sagen wir… gerösteter Auberginen mit Linsen und Sumach und zwei Kilo Petersilie im Mund habe, erfreue ich mich daran, wie es kracht. Geschmacksexplosionsmäßig meine ich.

Als meine Uni mir dann die Chance gab, mit auf eine Exkursion nach Israel zu reisen, wollte ich mit, in das Land des Tahin und des Za’atar und der Kräuter, von denen Ottolenghi immer schreibt. Es mutet etwas seltsam an, das so zu sagen, denn Israel ist selbstverständlich auch das Land des andauernden, täglich um sich greifenden Nahostkonflikts. Ich muss zugeben, ich wusste vorher mehr über Hummus als über den Gazastreifen. Jetzt hat sich mein Wissen über beides deutlich erweitert, zum Glück.

 

Wenn man über Israel liest oder dort lebenden Menschen oder Reisenden zuhört, heißt es oft, das Land sei so vielfältig, so extrem, so verrückt. Für mich hat sich das erst mal wie Floskeln gelesen. Sind nicht alle Länder irgendwie vielfältig? Jetzt verstehe ich, dass es auch aus Mangel an sprachlichen Alternativen unmöglich ist, anders in Worte zu fassen, was die kulturelle Begegnung mit Israel/Palästina in einem zurücklässt. Jenni gesellte sich für den zweiten Teil der Reise zu mir. In Mitzpe Ramon, einem Dorf mitten in der Negev-Wüste, sind wir dort gewandert. Und zum Beispiel mit dem Polizeichef des Dorfs, der muslimischen, feministischen Organisatorin einer sozialistischen Jugendgruppe und einem rechten Russen getrampt, um von unserem Hippie-Kibbutz-Hostel zu einem beeindruckenden Nationalpark zu kommen. Da sind die religiösen Stätten in Jerusalem, die von allen monotheistischen Religionen für sich beansprucht werden und die ultraorthodoxen Juden in abgeschlossenen Vierteln. Und auf der anderen Seite eine starke, sichtbare LGBTQ-Community oder eine moderne Rabbinerin in Tel Aviv. Guides oder schlichtweg Passierende, die mit einer Offenheit über ihr Leben sprechen, die einen überrascht. Darunter Menschen, die den Holocaust überlebt haben. Oder christliche Palästinenser*innen, die eine Mauer im Garten stehen haben, die sie daran hindert, nach Jerusalem zu gehen.

Was hat das alles – was ich hier natürlich nur grob angerissen habe – jetzt noch mal mit Ottolenghi und Hummus zu tun? Ich erlaube mir, seine These aus Jerusalem aufzunehmen, dass diesen „verrückte“ Land „voller Gegensätze“ eben auch seine Küche geprägt hat. Die nimmt einerseits vieles von ihren syrischen und libanesischen Nachbarn in sich auf, aber auch von traditionell jüdischen Speisen um den Sabbat. Insgesamt ist sie sehr frisch und sommerlich, macht aber auch vor langen Schmorgerichten nicht Halt. Letztlich werden in der Küche die Grenzen zwischen den kulturellen Einflüssen verwischt. Da ist es eben wieder: Alles ist erlaubt, Gegensätze sind überall – vieles kehrt zwar immer wieder, aber grundsätzlich ist alles möglich, solange es schmeckt.

 

 

Und ohne mich jetzt nach einer zweiwöchigen Reise als Expertin für israelisch-palästinensische Küche ausweisen oder euch gar noch einen längeren theoretischen Abriss geben zu wollen (sorry, ich schreib gerade Masterarbeit), will ich euch lieber daran teilhaben lassen, wie ich meine kulinarischen Eindrücke in einem persönlichen Nahost-Menü verarbeitet habe. Da ich so ein Themen-Menü einmal jährlich und einigermaßen feierlich für meinen Freund und meine Eltern koche, versuche ich natürlich auch Abwechslung zu den vorherigen Jahrgängen zu schaffen – sonst war es immer vegetarisch, diesmal wollte ich trotz israelischer Vorlieben für Joghurt und Eier gerne ganz auf tierische Produkte verzichten. Unter dem Motto „Tel Aviv trifft Mainz“ gab es dazu außerdem eine regionale Weinbegleitung, die ich mit Hilfe der Mainzer Weinraumwohnung zusammengestellt habe. Sie passte hervorragend.

 

 

1. Mezze: Hummus, Foul, Mangold, Möhren, Rote Bete mit Za’atar, Pita

Ich muss gestehen, wie so oft war die Vorspeise mein Favorit und wahrscheinlich der aufwendigste Teil des Menüs. Da kamen Dinge auf den Tisch, die es in Jerusalem oder Tel Aviv wirklich an jeder Straßenecke gab: klar, Hummus, aber eben auch die Salate aus gedünsteten Möhren und Bete sind oft dabei.

Auf dem Levinsky-Markt, der eigentlich nur eine Straße mit traumhaften Lädchen voller getrockneter Gemüse, Dörrfrüchte, Nüsse und Gewürze ist, habe ich mir Za’atar, eine Art wilden Oregano der Region, in purer Form gekauft – das ist gar nicht so einfach, denn die Gewürzmischung gleichen Namens ist eher zu finden. Genau die wollte ich aber selbst herstellen! Also erstand ich auch noch hochqualitativen Sumach, ein Pulver aus Essigbaumfrucht (im Gegensatz zu Zaatar findet man den zwar auch bei uns in türkischen Läden, aber… ich wollte den Levinsky-Sumach). Zusammen mit geröstetem Sesam und Salz zerkleinert habe ich so ein Stückchen Tel-Aviv-Aromen in meiner Mainzer WG – hoch aromatisch und perfekt passend zu herbem Ofengemüse, oder wie hier zu gekochter Roter Bete.

Dem Hummus mache ich mittlerweile nur noch mit getrockneten Kichererbsen (keine vorgekochten) und viel Tahin, die Rezepte für die Dicken Bohnen namens Foul, den herrlich knoblauchigen Mangold und den auf der Zunge zergehenden Möhrensalat stammen aus Ottolenghis Jerusalem, wobei ich bei der Tahinsauce den Joghurt weglasse und etwas mehr Zitronensaft nehme. Dazu gab es noch warmes selbstgebackenes Pitabrot – etwas, was in Israel immer da ist, wo Hummus ist. Also so ziemlich überall.

 

 

2. Blumenkohl, im Ganzen gebacken, mit Melonen-Tomaten-Sauce

Denkbar minimalistisch hingegen ist mein Zwischengang, der von einer insgesamt sogar eher enttäuschenden Imbiss-Besuch-Erfahrung geprägt ist. Die NOMSlerinnen wollten in Tel Aviv zu Mittag essen. Wir gingen ins Miznon, dessen Zweitfiliale ich aus Paris kannte, aber dort nie besucht hatte. Es ist der Pita-Laden des bekannten israelischen Kochs Eyal Shani und die vegane Imbisskarte las sich reizvoll – aber das Bohnen-Pita war leider aus und so bekamen wir ein Avocado-Tomaten-Pita, das zwar ganz lecker war, aber nicht die kulinarische Erleuchtung mit sich brachte, die uns angepriesen wurde. ABER da war auch noch diese Beilage. Einfach nur ein Blumenkohl, recht ölig und angekokelt. Er stellte das Sandwich um Längen in den Schatten. Dieser Blumenkohl, der in komplettem Zustand im Ofen geröstet wird, ist eine Wucht. Die sommerlich-fruchtige Sauce ist ebenfalls der aus dem Miznon nachempfunden. Das Rezept dazu:

 

Für 4 Leute als kleiner Gang oder für 2 als größerer:

 

1 mittelgroßer Blumenkohl

¼ Wassermelone

Ca. 4 Tomaten

Salz

Olivenöl

 

Zuerst heize ich den Ofen aus 200 Grad Ober-Unterhitze vor. Dann setze ich den Blumenkohl in eine mit Öl bepinselte Auflaufform – so kann ich später das ausgetretene Öl noch einmal über den Blumenkohl gießen. Jetzt bepinsele ihn reichlich mit Olivenöl, ca. 6 EL, und schiebe ihn für ca. 60 Minuten in den Ofen. Falls er nach 45 Minuten nicht ordentlich gebräunt ist, erhöhe ich die Temperatur auf 220 Grad.

In der Zwischenzeit häute ich die Tomaten. Dazu fülle ich sie in eine Schüssel und übergieße sie mit kochendem Wasser, sodass sie bedeckt sind. Nach ca. 3 Minuten das Wasser abschütten, kurz auskühlen lassen und die Haut abziehen. Ggf. Strünke (ist das der korrekte Plural?!) entfernen und die Tomaten grob würfeln. Das Fruchtfleisch der Wassermelone von der Schale lösen und wenn vorhanden, Kerne entfernen. Die Tomaten und die Melone werden nun in einem Mixbecher mit dem Pürierstab zur Sauce zerkleinert und nur leicht gesalzen. Hier kommt es auf Qualität und Reife der Zutaten an, beides sollte von sich aus süß und voll im Geschmack sein. Das geht hierzulande saisontechnisch nur im Sommer.

Wenn der Blumenkohl sich mühelos mit einem Messer einschneiden lässt, kann er aus dem Ofen und auf einem Teller noch mal mit dem gesammelten Öl übergossen werden. Jetzt kann man daraus Stücke wie bei einem Kuchen schneiden und diese mit der Sauce genießen – und sommerlich leicht speisen wie ein Hipster in Tel Aviv. 😉

 

 

3. Aubergine mit Chermoula, Bulgur und Mandelsauce

oben Granatapfelkerne, daneben bunter Salat

Mein Hauptgericht ist ebenfalls ein „veganisiertes“ Ottolenghi-Gericht – ich brauche kaum zu erwähnen, dass es köstlich ist. Statt Joghurt habe ich aus Mandelmus und Zitronensaft eine Sauce gezaubert. Allerdings finde ich im Nachhinein, dass es die gar nicht gebraucht hätte, denn der Granatapfel und den Beilagensalat, die ich dazu gemacht habe, bringen die nötige Säuerlichkeit mit sich, um mit den Röstaromen und der würzigen Marinade der Aubergine zu kontrastieren. Als ich mich für das Motto des Menüs entschieden hatte, wusste ich, dass dazu auch ein Tomaten-Gurken-Salat gehören muss. Denn der wurde in Israel/Palästina beinahe selbstverständlich zu vielen Gerichten gereicht und verleiht dem jeweiligen Hauptgericht eine Extrafrische. Und selbst wenn ihr jetzt immer noch denkt, Tomaten-Gurken-Salat klingt irgendwie langweilig, muss ich widersprechen – mit der Bedingung, dass man gute Minigurken findet. Die gibt es hier z.B. im türkischen Lebensmittelgeschäft. Sie sind, genau wie das Dressing aus Olivenöl, Zitronensaft und Sumach ein Muss!

 

 

4. Palästinensische Nusstaschen in Blütensirup

Diese Teigtaschen mit nussiger Füllung in Bethlehem haben mich nicht mehr losgelassen. Wie verhext musste ich stehenbleiben und dabei zusehen, wie der Straßenverkäufer sie frittierte und in Sirup tränkte. Sie waren einfach himmlisch. Auf der Suche eines Nachbastel-Rezeptes erinnerte ich mich an eine Seite meines hier rezensierten Lieblingskochbuchs Immer schon vegan, das ich dann auch genau so umgesetzt und noch mit frischen Erdbeeren serviert habe. Hier werden die Taschen nicht frittiert, sondern im Ofen gebacken. Die Konsistenz des pfannkuchenartigen Teigs ist unbeschreiblich… Uns war schlecht, denn wir konnten trotz runder Bäuche und drohender Überzuckerung nicht aufhören, sie zu essen. Zum Glück herrscht in meiner Familie Konsens darüber, dass Völlerei notfalls in Kauf zu nehmen ist, wenn etwas nun mal so gut schmeckt.

 

Für mich gab es viel Lob, ich war zufrieden, aber hatte auch noch ein paar Verbesserungsideen im Kopf (siehe Mandelsauce). Außerdem sollte ich zumindest erwähnen, dass ich ein paar ganz typische Dinge aus meinen zwei israelisch-palästinensischen Wochen nicht integriert habe: Falafel (nach Ottolenghi-Rezept habe ich sie schon vor Längerem gemacht, sie sind toll), Shakshuka (das in einer scharfen Tomatensauce gebackene Spiegelei gab es oft als Frühstück oder Mittagssnack, vegan natürlich eher bedingt machbar) und eine persönliche Neuentdeckung, Sabih (siehe Bild). Dabei handelt es sich um ein Pitasandwich mit Aubergine, gekochtem Ei und Mangosauce, neben den üblichen Salatzutaten. Am besten bei dem unscheinbaren Straßenimbiss Sabih Frishman, der mir absolut zurecht von einem Tel Aviver empfohlen wurde. Super lecker!

 

 

Am liebsten hätten Jenni und ich uns noch viel länger durch Israel geschlemmt – es ist wirklich ein kulinarisches Paradies. Die Anzahl veganer Restaurants in Tel Aviv ist kaum zu bewältigen, eines wurde uns ebenfalls von unserem heimischen Host empfohlen: das Anastasia, das ebenfalls in der Frishman Street gelegen ist. Was hier aus Fenchel, Pak Choi und Pilzen gezaubert wurde, kann ich gar nicht in Worte fassen. Das cremige, rein pflanzliche Dessert hat uns genauso umgehauen. Dann gab es diese Bäckerei in Mitzpe Ramon, alles frisch und von Hand gebacken, z.B. kleine Fladen mit Linsen- oder Süßkartoffelfüllung. Daran kommt Backwarentechnisch sehr wenig, und das sage ich nach einem Jahr, in dem ich durch Pariser boulangeries verwöhnt worden bin. Auch wenn Handybilder den Köstlichkeiten nicht gerecht werden, muss ich hier noch ein paar Impressionen von Mezze in Jerusalem (klein) und Jaffa (groß) sowie einem Frühstück und Abendessen in der Wüste teilen.

 

Ach, ich gerate schon wieder ins Schwärmen. Dabei war das nur die Ultraschnellversion dieser beeindruckenden Reise… Und so schlage ich weiter die Jerusalem-Seiten auf, koche was das Zeug hält und erinnere mich an die magischen Begegnungen, die ich machen dufte – menschlich wie essenstechnisch. Ich hoffe, mein kulinarischer Ausflug in den Nahen Osten hat euch ein Stück von der Magie überspringen lassen.