Zum Vorwurf der Doppelmoral
In letzter Zeit lese und höre ich in Diskussionen um den Klimaschutz oft das Argument, Öko-Aktivist*innen und Politiker*innen seien unglaubwürdig, wenn sie beispielsweise selbst in ihrem Leben viel geflogen sind und nun Kerosinsteuern fordern. Und überhaupt, heuchlerisch seien doch alle, die selbst nicht konsequent das umsetzen, was sie den anderen so dreist vorschreiben wollen. Im Einzelnen werden dann Luisa Neubauers Langstreckenflüge aufgerechnet, Greta Thunbergs Plastiktüte zum Aufreger oder Anton Hofreiter an den Pranger gestellt, weil der auch mal in die Arktis gereist ist.
Dabei ist ein Aufruf zur Selbstreflexion von Bewegungen ja durchaus wichtig. Man könnte sich z.B. fragen, wieso ironischerweise gerade Menschen, die grün wählen, besonders oft fliegen, Davon ausgehend könnte man versuchen, ein Bewusstsein für diese Problematik zu schaffen. Aber ich glaube, dass es den Der-hat-aber-selber-gesündigt-Rufenden oft nicht darum geht und in den Kommentarspalten ein Wind von rechts (oder zumindest aus der konservativen Ecke) weht. Bestimmte Personen sollen diffamiert werden, weil sie mittlerweile öffentlich wirksame, gute Argumente für ökologische Maßnahmen anführen. Und die bringen eben mit sich, dass wir unseren Lebensstil ändern, dass sich in Sachen Mobilität und Konsumverhalten Einiges ändern wird, usw.
Gerne tut man die Fridays-for-Future-Aktivist*innen ja auch als ahnungslose Kinder ab. Aber wenn es darum geht, im Lebenslauf einer Anfang-20-Jährigen klimatechnische Fauxpas aufzudecken, die sie mit 15, 16, 17, 18 begangen hat (reine Spekulation), dann kann man die moralische Verantwortungsfähigkeit dieser “Kinder” gar nicht hoch genug halten. Als müsste man schon als unfehlbare(r) Klimaretter*in auf die Welt gekommen sein. Als würde man schon frühpubertär genau die Konsumgesellschaft hinterfragen, in der man aufgewachsen ist und die einem von nahezu allen Erwachsenen als “normal” gespiegelt wurde. Als würden nicht gerade junge Menschen – wie wir alle! – im Laufe ihres Lebens zu Wissen und Einsichten und damit verbundenen Forderungen gelangen. Man nennt es Lernen, sich Informieren.
Das schlecht zu machen, indem man mit dem Finger auf jemanden zeigt, der sich traut, komplexe, drängende Probleme unserer Zeit anzustoßen, ist schlichtweg daneben. Es beruhigt höchstens das eigene schlechte Gewissen. Zudem lenkt es von der eigentlichen Diskussion ab über eine Krisensituation, die nicht weniger real wird, nur weil sie eine bestimmte, nicht zu jedem Zeitpunkt perfekt handelnde Person formuliert. Und im Übrigen: Niemand mag Petzen.